Inhalte der Freimaurerei und die Idee einer weltumspannenden Überzeugung

Schleswig, 01.11.13

Inhalte der Freimaurerei und die Idee einer weltumspannenden Überzeugung

Das um 1200 gegründete ehemalige Benediktinerinnenkloster auf dem Holm vor Schleswig ist die besterhaltene mittelalterliche Klosteranlage in Schleswig-Holstein.  Zuvor befand sich an diesem Ort eine Pfarrkirche. Wir erkennen daran, dass sich hier seit über 800 Jahren geistiges und geistliches Leben abspielt. Hier nun im Remter des St. Johannis-Klosters sprechen zu dürfen, ist demnach schon etwas Besonderes.

Quellen aus dem späten 12. Jahrhundert können wir entnehmen, dass das Kloster an der „Freiheit“ angelegt wurde. Der Bezirk „Freiheit“ liegt auf einer Insel (Holm), die sich östlich von Schleswig an der Schlei befindet. Ein altes Siegel aus dem Mittelalter mit einem Abbild Johannes des Täufers führt uns vor Augen, dass die Namensgebung des Klosters auf jenen Propheten und Märtyrer zurückgeht, der Jesus im Jordan getauft hat.

Ich erwähne dies deshalb, weil jener Johannes der Täufer auch der Schutzpatron der Johannis-Freimaurerei ist. Und es ist nicht nur der Namensgeber des Klosters, der uns Freimaurern hier ein Gefühl der Geborgenheit gibt . . . nein, es ist auch der Standort des Kosters, der uns anspricht, denn ein Aufenthalt in einer Umgebung, die den Namen „Freiheit“ trägt, bringen wir Freimaurer unweigerlich mit einem unserer wesentlichen Ziele in Verbindung. Ich werde auf unseren gemeinsamen Schutzpatron wie auch auf die „Freiheit“ im freimaurerischen Sinne noch zurückkommen.

Zunächst möchte ich mich der Frage nähern, seit wann es die Freimaurerei überhaupt gibt? Ich möchte dabei weniger auf die freimaurerische Forschung eingehen. Vielmehr möchte ich einen berühmten Freimaurer zur Wort kommen lassen. Es war der wichtigste deutsche Dichter der Aufklärung, Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781), der in seinen Freimaurergesprächen „Ernst und Falk“ den Freimaurer Falk feststellen lässt: „Die Freimaurerei war immer!“ Und weiter führt Falk aus: „Die Freimaurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches: sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muss man auch durch eignes Nachdenken eben so wohl darauf verfallen können, als man durch Anleitung darauf geführet wird.“

Ich denke, dass Bruder Lessing, der der Hamburger Freimaurerloge „Zu den drei Rosen“ angehörte, richtig liegt, denn freimaurerisches Denken und Tun hat es zu jeder Zeit gegeben, zumal es zu jeder Zeit Menschen gab, denen Humanität, tolerantes Denken und Handeln, Demut, Menschliebe sowie karikatives Engagement wichtig war und auch heute noch ist. Nun waren und sind diese Menschen keineswegs alle Freimaurer, aber die Freimaurer-Brüder unter ihnen gehen diese Ziele bewusst an, indem sie bereit sind, dauerhaft an sich selbst zu arbeiten. Es geht um eine Bewusstseinsveränderung, um ein „besserer“ Mensch zu werden. Die Freimaurer bedienen sich dazu einer ihr eigenen Symbolsprache. So versinnbildlichen wir dieses Arbeiten an uns selbst durch zwei Begriffe, und zwar durch einen rauen, unbehauenen Stein und einen harmonischen, behauenen Kubus. Was meinen wir damit? Die Wandlung des eigenen Ichs erfolgt dadurch, dass wir uns selbstkritisch zunächst als rauen Stein betrachten, der durch intensives Arbeiten eine Form erhalten soll, die einem Kubus ähnelt. Dieses Arbeiten ist für uns unerlässlich, denn wir folgen dem Ziel, Attribute wie schneller, höher und weiter, die unser aller Leben prägen, möglichst hinter uns zu lassen und andere Maßstäbe zu setzen.

Wir Freimaurer haben uns einem Bau verschrieben, den wir den Tempel der Humanität nennen. Die Steine, die dafür erforderlich sind, sind die Menschen. Menschenliebe, Toleranz und Humanität sind – wieder symbolisch gesprochen – der Mörtel des Tempelbaus. Dieser Tempel ist nach unserer Auffassung unzerstörbar, weil er in menschlichen Herzen entsteht. Und deshalb – um mit den Worten Bruder Lessing zu sprechen – war die Freimaurerei immer . . . und sie wird es auch künftig sein, weil ihre Intention unabhängig vom Zeitgeist, von Trends und vom Mainstream stets aktuell ist. Weil jenes Bauen am Menschheitstempel die höchste Lebenskunst ist, wird von alters her die Freimaurerei als Königliche Kunst bezeichnet, oder mit anderen Worten: als Kunst aller Künste. Sie umfasst unsere gesamte Lebensführung, vor allem aber unser Verhalten gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen.

Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Selbstveredelung. Und diese Selbstveredelung gilt im Bereich der Königlichen Kunst als die erste Lebensforderung, weil wir Menschen eben nicht als Vollendete geboren sind. Durch Bildung des Geistes und Veredelung des Herzens können wir etwas näher zur Vervollkommnung gebracht werden. Dabei soll – wie bereits ausgeführt – das eigene Ich als ein Baustein betrachtet werden.

An dieser Stelle passt ein Zitat unseres Logenbruders Goethe sehr gut. In seinen Schriften zur Kunst lesen wir: „Der Mensch verlangt nicht Gott gleich zu sein, aber er strebe, sich als Mensch zu vollenden. Der Künstler strebe nicht ein Naturwerk, aber ein vollendetes Kunstwerk hervorzubringen.“

Ich hatte angekündigt, noch einmal auf unseren Schutzpatron Johannes den Täufer zurückzukommen. Nach dem Matthäus-Evangelium war er es, der die Menschen dazu aufrief, dass sie ihr Leben ändern sollten. Er war es auch, der die Menschen aufforderte, dass sie durch ihre Taten zeigen sollen, dass sie sich wirklich ändern wollen. Beide Aufforderungen haben für uns Freimaurer Programmcharakter, denn uns ist bewusst, dass ein Nichtstun in die Irre führt.

Die Freimaurerei bietet ihren Mitgliedern die Werkzeuge, um im Sinne des Täufers tätig zu werden. Sie bietet Werkzeuge, um an den Macken des bereits erwähnten rauen Steins zu arbeiten, die Ecken und Kanten zu schleifen, bis sich sprichwörtlich darauf bauen lässt. Wie intensiv und wie nachhaltig dieses Arbeiten an sich selbst erfolgt, bleibt dabei jedem Freimaurerbruder selbst überlassen.

Die Freimaurerei verlangt von ihrem Mitglied, dass er ein freier Mann von gutem Ruf ist. Die Freiheit des Freimaurers gründet sich auf Erkenntnis und Wissen. Deshalb lehnt die Freimaurerei auch jeden Dogmenzwang ab und sieht die Glaubens- und Gewissensfreiheit als höchstpersönliches Recht eines jeden Bruders an. Auf der anderen Seite wird von jedem Freimaurer erwartet, dass er die Glaubens- und Gewissensfreiheit anderer Menschen respektiert und toleriert.

Sie, meine lieben Zuhörer, werden nun zu Recht fragen, wodurch und wie die Freimaurer an sich selbst arbeiten? Welche freimaurerischen Handwerkzeuge kommen da zum Einsatz . . . und vor allen Dingen: Wer oder durch was stellt sicher, dass die besagte Königliche Kunst auch ausgeübt werden kann?  Nun, zunächst muss an dieser Stelle festgestellt werden, dass die Freimaurerei nicht erklärt, sondern nur erlebt werden kann. Sie beruht auf dem persönlichen Erlebnis jedes einzelnen Freimaurers und aus dem, was er selbst in die Bruderschaft einbringt: an Gedanken, Überlegungen, Handlungen und Gefühlen.

Kristallisationspunkt und Kernstück für die Königliche Kunst ist das freimaurerische Ritual. Wir alle kennen Rituale und bringen sie mit Brauchtum, Tradition und bestimmten Zeremonien in Verbindung. Beim Begriff Ritual fällt uns möglicherweise die Zeremonie bei einer Taufe ein oder bei Siegerehrungen oder, oder, oder. Vieles ist notwendig, um ein Ritual wirksam werden zu lassen. Ein bewegendes Erlebnis wird geschaffen . . . wird „ de rite“ (= nach dem Gebot, nach dem Gesetz) ausgeführt.

Nicht anders ist es beim freimaurerischen Ritual, das aus dem Steinmetz-Brauchtum stammt und sich auch auf alte Mysterienbünde bezieht. Bruder Philip Militz, Herausgeber des Büchleins „Freimaurer in 60 Minuten“, beschreibt es wie folgt: „(…) unser Ritual – vereinfacht: Wechselgespräche in feierlicher Atmosphäre – spiegelt Einflüsse aus mehreren Jahrtausenden Kulturgeschichte wider, ohne an Aktualität eingebüßt zu haben.“ Ein anderer Freimaurerbruder fragt in seinem Kompendium: „Was zieht Menschen jahrelang in den Freimaurertempel, um dort stets in derselben Weise ablaufende Handlungen auf sich einwirken zu lassen?“ Als Freimaurer hat er die Antwort gleich parat: „Weil sie dort ein Erlebnis finden, das ihnen etwas gibt – ohne klar beschreiben zu können, worum es sich bei diesem Etwas handelt.“ Dazu kann nur gesagt werden, dass es keine Erkenntnis ohne Erlebnis und Erfahrung gibt. Im Internationalen Freimaurerlexikon wird über jenes Ritualerlebnis, das unsere Brüder übrigens alle 14 Tage in unserem Logenhaus an der Flensburger Straße erleben und erfahren, Folgendes ausgeführt: „ (…) Jede dynamische Idee, die an die Gefühlswelt appelliert, muss aufgenommen und innerlich verarbeitet werden, insofern sie nicht wirkungslos bleiben will. In diesem Sinne ist auch die Freimaurerei ein Erlebnis, zumal ihre Lehren nicht in rationaler Form, in Worte gekleidet, ausgedrückt, sondern in symbolischer Gestaltung übermittelt werden, deren Ausdeutung ein hohes Maß an Sich-Einfühlen, seelischer Resonanz, voraussetzt.“ Und weiter heißt es: „Vor allem ist aber die Weihe (eines neuen Bruders) ein Erlebnis, zumal die Suchenden in die Freimaurerei nicht wie in die Religion hineingeboren, sondern aufgrund erfühlter Wahlverwandtschaft in die Kette aufgenommen werden.“

Dieses „Sich-Einfühlen“, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist übrigens das freimaurerische Geheimnis, denn die Ritualabläufe an sich wie auch die Symbole und ihre freimaurerischen Deutungen sind alles andere als geheim oder geheimnisvoll . . . früher waren es insbesondere die Universitätsbibliotheken, heute ist es das Internet, das unzählige Hinweise (richtige wie falsche) enthält.

Aus meiner inzwischen 23-jährigen Freimaurerzugehörigkeit kann ich berichten, dass das sogenannte Geheimnis der Freimaurerei einem Wunder gleichkommt, das man tatsächlich nur erleben und nicht nachlesen kann, weil es für immer ein unlösbares Rätsel bleibt. Dadurch wird – so meine feste Überzeugung – der Mensch motiviert, immer etwas Neues zu suchen und weiter zu forschen, was sich eigentlich in ihm selbst befindet. Er (der Mensch) ist und bleibt das größte Rätsel der Natur. Und insofern unterzieht sich der Freimaurer einem lebenslangen Lernprozess. Dabei befindet er sich unter gleichgesinnten Brüdern, die ihr Leben human und tolerant gestalten wollen. Ganz allgemein gilt: In der Loge treffen Männer zusammen, die sich sonst in der bürgerlichen Gesellschaft (möglicherweise) nie begegnet wären.

Ich komme abschließend noch einmal zurück auf das Ritualerlebnis und jene Kette, von der ich im Zusammenhang mit neu aufgenommenen Brüdern sprach. Diese Kette existiert zum einen symbolisch, denn nach der eigenen Aufnahme gehört man zu weltweit rund 4 Millionen Freimaurerbrüdern; in Deutschland gibt es rund 15 000 Brüder. Anderseits spürt jeder Bruder diese weltumfassende Verbundenheit im Rahmen des Rituals, wenn er im Logentempel mit den anderen Brüdern Hand in Hand zusammensteht . . . auch das ist stets ein besonderer Moment. Das Schöne an diesem Erlebnis ist die Tatsache, dass man das gleiche Gefühl auch bei Tempelarbeiten im Ausland hat, wobei ein Fremder zum Bruder unter Brüdern wird.

Schlagwortartig möchte ich noch einmal zusammenfassen:

Logenarbeit leitet zum Denken und Verstehen an und versetzt den Bruder nach und nach in die Lage, die Welt und sich selbst besser zu begreifen.

Freimaurerei ist angesichts der gesellschaftlichen Fragen der Zukunft aktueller denn je und in der Lage, dem Einzelnen Halt und Orientierung zu geben.

Geistiger Austausch, tiefe Freundschaft und gegenseitige Inspiration zählen seit jeher zum Kern der Freimaurerei. Die Freimaurerei ist ein ethischer Bund von Männern bzw. Frauen, die an sich selbst arbeiten wollen, um so der Gemeinschaft zu dienen.

Die Freimaurerei fördert die Arbeit an sich selbst im Sinne der Herausbildung einer verbesserten Persönlichkeit ohne nachgelagerten Endzweck – d.h. der Weg ist für ihn gleichzeitig das Ziel.

Freimaurerei steht für: Streben nach Humanität und Verbrüderung, kosmopolitische Ideen, Ablehnung jeglicher Dogmatik sowie Trachten nach Harmonie von Verstand, Gemüt und Willen.

Schlusssatz in der Ich-Form: Ich kann nicht im Schreiben und Lesen unterrichten, wenn ich es selbst nicht beherrsche; genauso ist es mit der Tugend.

Ich werde meine Mitmenschen am ehesten dadurch zur Pflege der Tugend anregen, indem ich versuche, sie ihnen vorzuleben.

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Diese Rede als PDF – St Johannes-Kloster 2013